21. August 2014

Schwerpunktthema Schönen Dank, Peter Punk!

„Recht auf Faulheit“?

von André F. Lichtschlag

Dossierbild

„Ohne Faulheit kein Fortschritt! Weil der Mensch zu faul war, zu rudern, erfand er das Dampfschiff. Weil er zu faul war, zu Fuß zu gehen, erfand er das Auto. Weil er zu faul war, abends die Augen zuzumachen, erfand er das Fernsehen.“ (Manfred Hausmann)

Peter Punk lebt, auf der Straße. In Köln. Peter Punk haßt diese Gesellschaft und er haßt den Staat. Peter ist ein Punk und damit Anarchist, wie jeder Punk. Er trägt gelb-blaue Haare – sehr hoch. Er trägt 33 Ohrringe, ein T-Shirt aus London mit der Aufschrift „Anarchy in the U.K.“, eine zerfetzte Jeans und eine Lederjacke mit der Aufschrift „Einmal gucken – eine Mark“ und Doc-Martens-Schuhe, ebenfalls aus London. Auch trägt er einen transportablen CD-Player sowie einige CDs von „Slime“, „Sex Pistols“, „Dead Kennedys“ und den „Ramones“ mit sich herum, er liebt diese Musik – und er träumt von einem Punk-Fernseh-Sender. Er trägt direkt neben seiner Ratte „Murray“ seinen Kopf hoch erhoben – anders als andere Punks. Denn er ist ein ehrlicher Punk.

Wir treffen Peter und seine Freunde an der Kölner U-Bahn, dort wo sie jeden Tag verbringen, mit viel Alkohol, lauter Musik und manchmal auch mit anderen Drogen. Sie leben, wie sie sagen, „in den Tag hinein“. Viele Menschen sehen sie so Tag für Tag an sich vorbeiziehen, auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Weg von der Arbeit, meistens nicht sehr glücklich aussehend. Sie alle haben wohl mehr Geld. Aber sind sie glücklicher? „Das kann nur jeder selber entscheiden“, glaubt Peter. Er hat sich für den freiwilligen Müßiggang entschieden. Und damit für die freiwillige Armut. Die anderen sind ihm „scheißegal“. So denkt ein „echter Punk“, sagt Peter.

Peter hatte vor einigen Jahren bei einem Zelturlaub in Ungarn einen „DDRPunk“ kennengelernt. Nächtelang haben sie damals gemeinsam Dosenbier in sich hinein geschüttet. Dabei haben sie sich über ihr jeweiliges „Zuhause“ unterhalten. Atze aus Ost-Berlin wußte viel zu berichten von jenem real existierenden Sozialismus, den Freunde von Peter im Westen immer als „auch scheiße, aber besser als bei uns“ zu charakterisieren wußten. Peter sah es sehr bald umgekehrt. Atze übrigens auch. Kurz nach dem Urlaub haben sie Atze dann verhaftet und in ein Arbeitslager gesteckt, damit er endlich am „Aufbau des Sozialismus“ mitarbeite, hatte er sich doch bisher genau wie Peter der Arbeit verweigert. Atze hatte sich „an der sozialistischen Gemeinschaft versündigt“. Er hat dann noch viel erleiden müssen bis zum Untergang „seines Staates“. Im Kapitalismus, so weiß Peter, „ist es den Leuten doch scheißegal“, ob jemand arbeitet oder nicht. Wenn nicht, so versündigt er sich nicht an der Gemeinschaft, sondern an seinem eigenen Lebensstandard. Und dazu war und ist Peter bereit. „Die Leute hier wären noch viel toleranter, wenn wir wirklich im Kapitalismus leben würden“, sagt Peter. Jetzt kommt er auf das zu sprechen, was ihn hier „wirklich ankotzt“.

Peter nimmt kein Geld vom Staat, keine Sozialhilfe und auch sonst nichts. „Das ist doch geklautes Geld“, weiß Peter das aus erzwungenen Steuereinnahmen erpreßte Geld des Staates zu beschreiben. „Wenn andere sich entscheiden, arbeiten zu gehen, dann kann man sie doch nicht zwingen, ihr verdientes Geld mit mir zu teilen, der ich eben nicht arbeiten will.“ Dies ist der Punkt, wo Peter sich von seinen Freunden auf der Straße unterscheidet. Die meinen zwar auch, sie seien „Anarchisten“, aber die „Staatsknete“ nehmen sie gerne entgegen. Daneben gehen sie betteln, wie Peter. Peter sagt, wenn die ehrlich vor sich selber wären und ebenfalls keine „geklaute Kohle von Vater Staat“ nehmen würden, dann würden die Menschen viel mehr Verständnis für jene haben, die nicht arbeiten wollen. „Ich verliere doch doppelt“, sagt Peter. „Wenn die anderen wie ich ohne Staatsknete vom Betteln leben würden, dann hätten alle mehr Verständnis und mehr Geld für uns – schon weil sie viel mehr zur freien Verfügung hätten. Und wenn die anderen nur von der Staatsknete leben würden und daneben nicht auch noch betteln gingen, dann wäre wenigstens mein Anteil am Bettelgeld höher.“ Aber die anderen Punks sind nicht ehrlich, nicht vor sich selber und auch nicht vor anderen: Sie hassen den Staat, von dem sie leben. Sie hassen die Gesellschaft, von der sie geraubtes Geld erhalten. „Das ist doch pervers“, meint Peter.

Peter erinnert sich an seinen Freund Atze. Der hatte keine Doc-Martens-Schuhe. Er konnte auch nicht dieselben CDs kaufen wie Peter. „So ist eben der Kapitalismus“, sagt Peter, „er sorgt auch für uns“. Im realen Sozialismus wurden Waren für „asoziale Elemente“ selbstverständlich nicht eigens hergestellt. „Wenn der eine Kapitalist meint, so wie Honecker, für uns nicht die geeigneten Klamotten, Schuhe, CDs oder unser Dosenbier herstellen zu müssen, so wird sich ein anderer Kapitalist diesen Profit nicht entgehen lassen.“

„Dies ist eine Sache von grundsätzlicher Bedeutung“, sagt Peter, „Atzes DDR ist nur ein Beispiel, Atze wäre doch auch in Kuba oder in der Sowjetunion in ein Arbeitslager gesteckt worden und beim Adolf hätte es uns ohnehin nicht gegeben“, zitiert Peter seinen Opa Heinrich. Wenn kein Privateigentum herrsche, sondern vergesellschaftetes Eigentum, wenn der einzelne nichts ist und sein Volk alles, wenn andere über einen verfügen und nicht jeder über sich und sein Eigentum selbst bestimmt, so müsse diese Gesellschaft natürlich gegen Arbeitsverweigerer vorgehen. Für diese Konsequenz hat Peter sogar „irgendwie Verständnis“. Denn sonst würden einige auf Kosten der anderen leben. „Kein Verständnis habe ich aber für Oscar, unseren Sozialarbeiter, gleichzeitig Jungsozialist, der von einem Recht auf Faulheit spricht, aber sozialistische Eigentumsformen propagiert.“

Peter erklärt: „Überall dort, wo Privateigentum und ein freier Markt besteht, da wird auch für uns Punks produziert. Es ist schade, daß z.B. beim Fernsehen immer noch restriktive staatliche Lizenzen vergeben werden.“ Nur deshalb gäbe es noch keinen Punk-Sender: „Wenn es fünfhundert andere Sender bereits gäbe, dann würden doch auch Bertelsmann oder Leo Kirch den fünfhundertundersten Sender eigens mit und für Punks organisieren. Irgendeiner würde diese Marktlücke zu nutzen wissen.“  Aber leider gibt es keinen freien Rundfunk- und Fernsehmarkt in diesem Land. „So werden wir unsere Kultur weiterhin über CDs und Kleidung vervielfältigen“, sagt Peter, „denn diese Waren sind frei.“

Vielleicht gründet Peter trotzdem irgendwann „seinen“ Punk-Sender, dafür würde er sogar arbeiten gehen: „Zur Not muß man so etwas illegal machen, am Staat vorbei.“ So, wie Atze alle seine „Klamotten“ irgendwie illegal beschafft hat. Und so, wie Peter und seine Freunde illegal manche Drogen beschaffen müssen. „Darunter wird die Qualität des Produkts natürlich leiden. Das kann, wie wir wissen, im Falle der Drogen sogar tödlich sein. In einer Marktwirtschaft ist das Angebot nicht nur breiter, sondern auch besser.“ Aber dort, wo es keinen offenen Markt gibt, müssen Menschen eben „schwarz handeln“, weiß Peter. „Und das ist doch irgendwie voll punk, oder?“

Zum Abschied wird Peter philosophisch. Uns und seinen Punk-Freunden verkündet er: „Die Anarchie wird entweder kapitalistisch sein – oder sie wird gar nicht sein.“

Wir denken jetzt darüber nach, ob auch der Umkehrschluß gilt: Der Kapitalismus muß anarchistisch sein – oder er kann gar nicht sein.

Ein interessanter Gedanke. Danke, Peter!


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