30. Oktober 2022

Die Konstanzer Erklärung 2022 Wie die Unterzeichner ticken

Ein Stimmungsbild von der Basis der Marktwirtschaft

von Oliver Gorus

Dossierbild

Artikel aus ef 227, November 2022.

Die kleinen und mittleren Unternehmen im deutschsprachigen Raum sind eine Rarität. Und sie wissen das. Nirgendwo auf der Welt sind diese kleinen Betriebe so zahlreich in Bezug auf die Fläche und die Einwohnerzahl, nirgendwo stellen sie so viele Arbeitsplätze zur Verfügung, nirgendwo sind sie so professionell und tüchtig wie hier im Mitteleuropa deutscher Sprache. Und nicht zuletzt: Nirgendwo leisten sie einen so hohen Anteil zur Finanzierung von Krankenkassen und Rentenkassen sowie für die ausufernde Umverteilung des Sozialstaats.

Den Regierungen ist ganz offensichtlich nicht klar, welches Kleinod sie da zu beschützen und zu bewahren haben. Wenn die Spitzenpolitiker der Parteien in Berlin von Wirtschaft reden, dann denken sie hörbar an die Lobbyisten der Konzerne, denn das ist wohl das, was sie von der Wirtschaft kennen. Das andere, die kleinen spezialisierten Produktionsbetriebe, die Ladengeschäfte, die alltäglichen Dienstleister, die Selbständigen, die werden irgendwie für selbstverständlich genommen. Da kann man sie bei der Gesetzgebung auch einfach mal vergessen. Wenn diese politisch unsichtbaren Unternehmer zwischen Inflation, Sanktionen, Energieverknappung, Zwangsmaßnahmen, Bürokratieterror und viel zu hohen Steuern und Abgaben zermalmt werden und aufgeben, dann bekommt das keiner von der Berliner Raumschiffbesatzung mit und es tut ihnen auch nicht weh. 

Wie ist die Lage gerade da unten im politikfernen Maschinenraum?

Vorabendstimmung

Momentan herrscht bei den kleinen und mittleren Unternehmern eine merkwürdige Stimmung. Auf der einen Seite schauen sie in einen gähnenden Abgrund. Viele wissen nicht, wie sie über den bevorstehenden Winter kommen sollen. Wie sie die Arbeitsplätze, die sie mit Mühe und Not durch die Corona-Maßnahmenkrise gebracht haben, jetzt noch erhalten sollen. Wie sie die zerrissenen Lieferketten wieder schließen sollen. Wie sie die knapp gewordenen Rohstoffe und Vorprodukte wie Glas oder Aluminium oder Chips beschaffen sollen. Wie sie die brutal gestiegenen Zuliefererpreise kalkulieren sollen. Wie sie als Zulieferer die fehlenden Bestellungen aus der stagnierenden Industrie kompensieren sollen. Wie sie die explodierenden Energierechnungen bezahlen sollen. Wie sie ihren Mitarbeitern die Gehälter an die längst zweistellige Inflation anpassen sollen. Es geht ums nackte Überleben. Die Nervenanspannung bei vielen von ihnen ist immens. Sie rackern rund um die Uhr. Noch nie habe ich in meinem unternehmerischen Freundes- und Bekanntenkreis so viele müde und erschöpfte Gesichter gesehen.

Auf der anderen Seite sind sie selbstbewusst, ruhig, unaufgeregt und voller Zuversicht, dass nach den bevorstehenden Chaosjahren irgendwie, irgendwo und irgendwann wieder eine gute Zeit kommt, in der sich das Unternehmertum wieder lohnt. Sie werden da sein, wenn sich eine Chance bietet. Sie geraten nicht in Panik, das wäre auch nicht ihre Art. Manche haben allerdings das Land schon verlassen, manche haben Niederlassungen aufgegeben, den Personalbestand reduziert oder den Betrieb schon ganz geschlossen, manche versuchen sich einzuigeln in eine Art Winterschlaf. Manche wissen nicht, was sie tun können und kauern vor der harten Rezession, die 2023 unweigerlich zuschlagen wird, wie die Kaninchen vor der Schlange.

Aber sie lassen sich jedenfalls psychisch nicht unterkriegen. Angst vor den wirtschaftlichen Herausforderungen haben sie nicht. Eher noch haben sie Angst, dass der außer Rand und Band geratene Staat die kleinteiligen Strukturen der Marktwirtschaft vollends zerstört und diese in eine tumbe Zentralplanungs-Kriegswirtschaft umwandelt. Ein Szenario, bei dem für freie Geister nur noch innere oder äußere Emigration als Option übrigbleiben. 

Seitenwahl

Genau diese Mischung aus Pessimismus und Optimismus strahlte der informelle Kreis der 18 Unternehmer aus, die Anfang September die „Konstanzer Erklärung“ formuliert und unterzeichnet haben (siehe dazu das Interview in ef 226).

Seitdem spricht sich das Kommuniqué herum, es kommen täglich neue Unterzeichner hinzu, mittlerweile sind es rund 700 unternehmerisch Denkende, die mit ihrem Namen für die Kernaussage stehen, dass sie das Vertrauen in die staatlichen Akteure verloren haben. 

Offensichtlich ist die Konstanzer Erklärung kein Thema für die größeren Redaktionen, weil sie schlicht noch zu klein ist. Aber genauso offensichtlich ist sie anschlussfähig und drückt aus, was viele denken.

Viele Unternehmer, die auf das Kommuniqué gestoßen sind, haben sich persönlich bei mir gemeldet, weil ich als Initiator ansprechbar bin. Mein Eindruck ist: Es gibt unter Unternehmern eine weit verbreitete Scheu, öffentlich in Erscheinung zu treten. Viele befürchten, durch öffentliche Aussagen Mitarbeiter oder Kunden zu vergraulen, was sie sich gerade jetzt nicht leisten können. Gleichzeitig gibt es aber auch das deutliche Bedürfnis, sich vernehmbar gegen den Staat zu positionieren, der zunehmend als feindlich empfunden wird. Ersteres bleibt, Zweiteres wird immer stärker.

Und wenn es Angebote gibt, wo sie sich ohne hysterisches Geschrei, ohne plakative Forderungen und ohne Parteigezänk klar gegen den wirtschaftsfeindlichen Staat und gegen seine von der unternehmerischen Realität weit, weit entfernten Politiker positionieren können, dann nehmen sie sie wahr. Jeder spürt: Wir erleben gerade historische Umwälzungen. Und die unternehmerisch Denkenden, die die Konstanzer Erklärung unterzeichnen, wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. 

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 21. Oktober erscheinenden November-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 227.


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