19. April 2024

Thomas Haldenwang Der Verfassungsschutz, der selbst zu einer Bedrohung wird

Staatsrechtler Rupert Scholz bekräftigt seine Kritik an dem Verfassungsschutzpräsidenten

von Klaus Peter Krause

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Bildquelle: Engelbert Reineke (Bundesarchiv, B 145 Bild-F078063-0005 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0) / Wikimedia Designierter Verteidigungsminister Rupert Scholz: Findet deutliche Worte zu Thomas Haldenwang

Haldenwang hätte sofort entlassen werden müssen. So eindeutig hat sich Rupert Scholz abermals zum gegenwärtigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz geäußert. Scholz ist ein allseits bekannter und geachteter Staats- und Verfassungsrechtler und war von 1982 bis 1988 Justizsenator in Berlin, 1988/89 auch Bundesverteidigungsminister. Seine überaus deutliche Kritik an Thomas Haldenwang hat er in einem längeren Gespräch mit Roger Köppel noch einmal zum Ausdruck gebracht, dem Chefredakteur der Schweizer „Weltwoche“, der auch Medienunternehmer ist und von 2015 bis 2023 zudem Mitglied des Schweizer Nationalrates war. Schon in einer Leserzuschrift an die „FAZ“, die für starkes Aufsehen sorgte, hatte Scholz deutlich Stellung gegen Haldenwang bezogen:

„Jenseits des Strafrechts gibt es keine Einschränkung der Meinungsfreiheit“

„Ein Verfassungsschutzpräsident, der behauptet, ‚Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief‘, verkennt die maßgeblichen freiheitlichen Grundlagen unserer Demokratie, die naturgemäß auch die Kritik an Regierung und staatlichem Handeln gewährleistet. Jenseits des Strafrechts gibt es keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die im Artikel 5 unseres Grundgesetzes garantiert ist und zum Kernbereich der Verfassung gehört. Ein Verfassungsschutzpräsident, der sich anmaßt, solche Schranken über den Rahmen des Strafrechts hinaus, quasi via Beschlüsse, durch Beobachtung oder willkürliche öffentliche Kommentierung einzuführen, verletzt die Verfassung. Er überschreitet dabei auch die eigenen, gesetzlich abgesteckten Kompetenzen. Wenn die Bundesregierung keine Konsequenzen aus dem Verhalten dieses hohen Beamten zieht, lässt sie selbst Zweifel an ihrem Demokratieverständnis aufkommen“ („FAZ“ vom 6. April 2024, Seite 20).

„Ein verräterisches Bekenntnis über sein undemokratisches Amtsverständnis“

Scholz hatte mit diesem Brief auf einen Gastbeitrag Haldenwangs in der „FAZ“ vom 2. April (Rubrik Fremde Federn) reagiert. Mit seinem tendenziösen Artikel habe der Verfassungsschutzpräsident „ein verräterisches Bekenntnis über sein wahres Demokratie- oder genauer gesagt: undemokratisches Amtsverständnis abgelegt“. In dem „Weltwoche“-Interview mit Köppel hat Scholz seine Kritik bekräftigt.

Der Verfassungsschutz, der selbst zu einer Bedrohung wird

Als Köppel fragt, „Ist dieser Verfassungsschutz im Begriff, selbst zu einer Bedrohung der demokratischen, offenen Gesellschaft zu werden?“, antwortet Scholz: „Ich seh’ das so, ich seh’ das genau so. Unser Grundgesetz ist völlig klar. Meinungsfreiheit gilt absolut – bis zu den Grenzen strafbaren Verhaltens. Das, was im Strafgesetzbuch geregelt ist (Beleidigung et cetera), das ist völlig klar, da endet die Meinungsfreiheit. Aber bis dahin ist sie unbeschränkt und darf nicht beschränkt werden, egal, ob einem die Meinung des einen passt oder nicht passt. Wir sind in einer pluralistischen Gesellschaft, da ist natürlich auch Meinung plural.“ Und das werde heute infrage gestellt. Der Vorgesetzten von Haldenwang, der Bundesinnenministerin Fancy Faeser, wirft Scholz vor: „Nachdem, was dieser Präsident des Verfassungsschutzes geschrieben und gesagt hat und praktiziert, hätte dieser Präsident natürlich sofort entlassen werden müssen.“

Kritik am Staat ist keine Delegitimierung des Staates

Scholz kritisiert auch den vom Verfassungsschutz erfunden Begriff von der Delegitimierung des Staates. „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist die Basis einer Demokratie. Niemand delegitimiert den Staat. Und wenn ich ihn delegitimieren will, dann ist das meine Meinung, die kann ich haben, die kann man mir nicht verbieten. Aber das genau geschieht heute. Wir sind auf dem Weg, bei der Meinungsfreiheit zu einem Anti-Meinungsterror zu gelangen, einen Anti-Meinungsterror. Und das ist ganz, ganz gefährlich für die Demokratie.“

Die AfD: Im demokratischen Spektrum ein echter relevanter Faktor geworden

Ein Thema im Gespräch Köppel-Scholz ist ferner die AfD. Für Scholz, nach wie vor Parteimitglied der CDU, ist sie durch das konservative Defizit in der Regierungszeit von Angela Merkel als Kanzlerin entstanden. „Sie ist im demokratischen Spektrum ein echter relevanter Faktor geworden.“ Dass man die AfD ausgrenze, ihr Vorsitze nicht zugestehe oder dass man gegen sie eine Brandmauer errichte, nennt Scholz lächerlich: „Brandmauern haben in einer Demokratie überhaupt nichts zu suchen.“

Der Begriff „Nazi-Partei“ für die AfD ist für Scholz völlig abwegig

Köppel fragt: „Wie beurteilen Sie die AfD, die gelegentlich auch als Nazi-Partei verschrien wird, gerade auch in der ausländischen Berichterstattung? Wo ist das Übertreibung, wo Wirklichkeit bei dieser Oppositionskraft?“ Antwort Scholz: „Ich halte den Begriff Nazi-Partei für völlig abwegig. Wer so etwas sagt, liegt völlig neben der Sache. Der weiß gar nicht, was Nationalsozialismus wirklich ist. Es ist schlicht eine Verleumdung. Rund 20 Prozent stehen hinter dieser Partei. Wenn man versucht, diese Partei auszugrenzen, wie es immer mehr im Bundestag und Landtagen geschieht, und wenn man das praktiziert, erreicht man genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen möchte. Es bedeutet, es wird ein Fünftel der deutschen Wähler, 20 Prozent, ausgegrenzt. Wer in der Demokratie substanzielle Gruppen mit ihren Repräsentanten ausgrenzt, der handelt in Wahrheit nicht demokratisch. In einer Demokratie muss man sich mit Gegnern auseinandersetzen. Demokratien leben entscheidend von Konkurrenz, Pluralität und Auseinandersetzung. Aber Auseinandersetzung erreiche ich nicht, wenn ich Brandmauern errichte oder Ähnliches. Brandmauer heißt im Grunde Negation, Negation auch entsprechender Wählerstimmen. Das darf man nicht machen. Das ist ein Grundfehler.“

Höcke, ein Faschist? Absolut nicht. Und die AfD ist nicht verfassungswidrig, ein Verbotsantrag würde in Karlsruhe scheitern

Köppel will wissen, ob der AfD-Vorsitzende in Thüringen, Höcke, ein Faschist sei. Scholz sagt: „Absolut nicht. Es gibt in Deutschland keinen substanziellen Faschismus. Und auch die AfD ist keine faschistische Partei. Das ist absurd, das zu behaupten. Es ist auch unklug, denn allein mit Verleumdung erreiche ich immer nur das Gegenteil.“ Und zu den teilweise von links artikulierten Bestrebungen, man solle die AfD verbieten, sagt Scholz: „Die AfD ist keine verfassungswidrige Partei.“ Für ein Parteiverbot fordere Artikel 21 des Grundgesetzes, dass man gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sei und dass dies in aggressiv-kämpferischer Weise geschehen müsse, im Grunde also in einer revolutionären Weise. Das heiße, wenn man unser System kritisiere, gehöre das zur Meinungsfreiheit. „Das ist legitim. Da kann man auch nicht wie Haldenwang sagen, das sei eine Delegitimierung des Staates. Das ist genau wieder die falsche Richtung. Aber wie gesagt, von einer faschistischen Partei oder einer Nazi-Partei könne in Deutschland gar nicht die Rede sein. Und wenn ein solches Verbotsverfahren eingeleitet werden sollte – das könnte der Bundestag tun, der Bundesrat oder die Bundesregierung und die Anträge stellen, ich glaube nicht, dass das geschehen wird – dann würde ein solcher Antrag beim Verfassungsgericht mit Sicherheit scheitern. Die AfD ist keine nationalsozialistische Partei oder Ersatzpartei. Und sie ist vor allem nicht aggressiv-kämpferisch tätig. Im Gegenteil.“

Scholz konstatiert „fundamentale politische Fehler“, darunter die Migrationspolitik und den Kernkraftausstieg

Rupert Scholz äußert sich in der Befragung durch Köppel auch über viele andere politische Themen. Deutschland sei wieder auf dem Weg zur Zersplitterung der Parteien wie einst in der Weimarer Republik. Die Ampel-Koalition mache Politik nach ideologischen Maßstäben, nicht nach Grundwerten. Deren Regierung setze sich nur aus Ideologen zusammen. Merkel habe ihre Partei, die CDU, ziemlich zugrunde gerichtet, aber sie habe Wahlerfolge gehabt. Scholz konstatiert „fundamentale politische Fehler“, darunter den Ausstieg aus der Kernkraft und die Migrationspolitik. Wie die deutsche Wirtschaft runtergefahren werde, sei absurd. Deutsche Medien hätten sich gegenüber dem Verfassungsschutz lange unkritisch verhalten. Die öffentlich-rechtlichen Medien seien dringend reformbedürftig. Hier herrsche politische Einseitigkeit im Übermaß, eine Reform sei „sehr, sehr notwendig“.

Scholz: Mein Land, meine Heimat, mein Deutschland ist in einer evidenten Krise

Zum sogenannten Demokratieförderungsgesetz sagt Scholz: „Mit dem Gesetz werden bestimmte NGOs und Gruppen massiv gefördert, weil die sich angeblich für die Demokratie einsetzen. Das ist ein ganz kritisches Element in unserer heutigen Situation.“ Zur Situation in Deutschland befragt, antwortet Scholz: „Auf eine kurze Formel gebracht: Mein Land, meine Heimat, mein Deutschland ist in einer evidenten Krise, in einer Krise, die wirtschaftlich begründet ist, die politisch-ideologisch begründet ist.“

Deutschland in einer Identitätskrise

Scholz sieht Deutschland in einer Identitätskrise. Die Deutschen seien sich ihrer Identität heute nicht mehr hinreichend bewusst. Identität gründe sich auf Identifikation. Und Identifikation bedürfe vor allem bestimmter Grundwerte und Überzeugungen, die allgemeingültig seien oder als allgemeingültig anerkannt würden. Und hier werde es in Deutschland kritisch und schwierig. Viele sprächen von einer gespaltenen Gesellschaft in Deutschland, und er glaube, dass sie recht hätten – eine gespaltene Gesellschaft, die in der Orientierung an entsprechenden Grundwerten zweifele und unsicher, auch labil geworden sei. „Wie man das überwindet, weiß ich nicht. Aber die Deutschen müssen wieder Kurs finden, um es mal so zu sagen. Die Deutschen haben eigentlich immer Kurs gefunden. Insofern bin ich nicht ohne einen gewissen Optimismus.“

Das Gespräch mit Köppel hat am 13. April bei Scholz zu Hause in Berlin stattgefunden und ist in der „Weltwoche online“ am 14. April veröffentlicht worden. Sie finden es untenstehend in voller Länge.

„Brandmauern haben in einer Demokratie nichts zu suchen“: CDU-Staatsrechtler und Ex-Minister Rupert Scholz über die deutsche Krise, die AfD und grüne Ideologen („Die Weltwoche“)

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors.


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